In eigener Sache

Zurück

Winterruhe in der Alten Apotheke

Weiter


1980 begann das zweite Leben der Alten Apotheke von Bad Grönenbach. Ihrer ursprünglichen Bestimmung entledigt, gepudert mit dem dekadenten Teint des inneren Verfalls, beschloss sie, so nicht enden zu wollen. Noch einmal wollte sie es wissen, packte ihre Reize aus und lockte - und fand einen Verehrer, der ihr schneller verfiel als sie in den Jahren der Untätigkeit selbst verfallen war. Flori Vogler hatte sein Nest gefunden.

Kein Vogel und kein Vogler baut ein Nest, um dort allein zu singen. Nur wenig später hatte Flori genug vom Sologesang, hatte geprüft, gefunden und für gut befunden, und so zog Ulla in seine Dauerbaustelle, in der die praktizierende Physiotherapeutin von nun an tun konnte, was sie am liebsten tat: kräftig zupacken.

Die Liebe zueinander und die zu Pferden vergrößerte den Hausstand in den späten achziger Jahren: 1986 kamen die Tochter Kathrin und der Wallach Domino dazu, zwei Jahre später Tochter Katja und der Wallach Dominik. Den Schlusspunkt setzte dann noch ein Pferd: Romeo.

Schlusspunkt? Die Großfamilie musste bald die Erfahrung machen, dass Pferde das Leben enorm bereichern können, aber als Familienmitglieder völlige Versager sind, es sei denn, man hieße Mr. Ed und hätte die höheren Weihen der Filmstudios von Hollywood, könnte sprechen, Schach spielen und wäre auch sonst in allen Fertigkeiten des Alltagslebens firm. Diese Fähigkeiten hatten Domino, Dominik und Romeo nicht.

Hero v. d. Wolfser Höhe

Und so begann irgendwann, als diese Lücke im Familienfoto immer schmerzlicher bewusst wurde, die Suche nach einem geeigneten vierbeinigen Hausgenossen, der auch im Haus und in der Familie reüssieren konnte. Dass die Wahl unter Pferdenarren dabei gerne auf einen Hund fällt, verwundert kaum. Zu jener Zeit nutzte ein Hovawartrüde beharrlich den Pferdestall als Laufsteg, um sich und seine Rasse ins bestmögliche Licht zu setzen. Dieser Bursche hieß Hero von der Wolfser Höhe, war schwarzmarken und als Herzensbrecher und Türöffner für die Suchenden die Idealbesetzung. Sie erlagen seinem Charme und wussten nun: ein Hovawart muss es sein!

Heros Besitzerin half den zukünftigen Hovi-Besitzern bei der Suche nach ihrem neuen Hausgenossen, die bei dem schwarzen Haudi von den Bajuvaren im Januar 1998 ein glückliches Ende fand. Allerdings war das Glück nur kurz und das Ende kam viel zu schnell: Haudi erlag schon nach wenigen Wochen einem tragischen Unfall. Trotz großer Trauer war klar: einmal Hovi, immer Hovi! In seinem kurzen Leben hat Haudi die Familie mit dem Hovawart-Virus infiziert, es gab kein Entkommen und keine Ausreden mehr.

Trotz allem gingen dann nochmal anderthalb Jahre ins Land, bis, nach sorgfältiger Suche und Auswahl, im September 2000 Max vom Lusenhang in Grönenbach einzog. Jetzt war die Familie komplett und das Glück vollständig.

Black Jack

Auch Max bekam im Laufe der Jahre seine Spielgefährten, Hasen, Enten, Hamster, sogar Warzenenten, die wie Geier auf den Bäumen um die Alte Apotheke saßen und den schwarzen Max argwöhnisch beäugten. Worauf Max allerdings als Spielgefährte getrost hätte verzichten können, war der schwarze Kater Black Jack, der schnell die Spielregeln nach eigenen Vorstellungen auslegte und meist humorlos und mürrisch seiner Wege ging.

Unter diesen Umständen war es für Max ein wahrer Segen, als im März 2007 sein Sohn, Cento vom Bairischen Blues, bei ihm einzog und die Eventdichte auf ein bisher nicht bekanntes Niveau hoch schraubte. Seither ist jeden Tag Narrentreiben in der Alten Apotheke, wobei sich Vater und Sohn beim Griff nach der Narrenkappe nichts schenken. Aber die beiden Schwarzen taugen auch als nützliche Helfer im Alltag und sind sich nicht zu schade, bei Rodungsarbeiten im Garten zu helfen, Holz zusammenzutragen, bei der Heuernte zur Hand zu gehen, Feuerscheite zum Kachelofen zu tragen und, wenn es ihnen für den Heizwert und das Raumklima förderlich scheint, auch mal ein Spielzeug der Feuerbestattung zu überantworten.

Zwar haben uns Domino und Dominik inzwischen den Rücken gekehrt und auch Kathrin und Katja sind ausgeflogen, wie es Kinder eben tun, aber es geht alles seinen richtigen Gang in der Alten Apotheke; das Haus ist bestellt. Betulichkeit hat sich deswegen längst nicht breit gemacht (dafür sorgen schon Max und Cento), es geht weiter und es geht voran. Und manchmal, wenn man lange genug voran geschritten ist, findet man sich unversehens an einem Ausgangspunkt wieder, weil Max im Januar 2009 Danja vom Vögele Hof im Zwinger von der Wolfser Höhe gedeckt und den Kreis geschlossen hat, an dessen Anfang Hero von der Wolfser Höhe stand.

Doch die Welt und das Leben sieht keine dauerhaft geschlossenen Kreise vor, weil geschlossene Systeme sie erstarren ließen und keinen Fortschritt zuließen. Wenn man selbst vom Aufbrechen eines so harmonisch geschlossenen Systems betroffen ist, hält sich jedoch das Verständnis für den Fortschritt der Welt in Grenzen. Als am 15. August 2009 unser Max nach kurzem Leiden verstarb, hätten wir viel dafür gegeben, wenn der Kreis noch ein paar Jahre länger geschlossen gewesen wäre. So aber tat sich ein Riesenloch im Gefüge der Alten Apotheke auf, das nach unserem Empfinden nie wieder geschlossen werden könne. Wir und die Alte Apotheke waren ohne unseren Max ein Stück unseres Selbstverständnisses und unserer Identität beraubt; die Voglers und der Max, das war doch wie Bayern und der weiß-blaue Himmel (oder stellt sich jemand Bayern in einem Atemzug mit Schmuddelwetter vor?). Cento hatte bis dahin neben und hinter seinem Vater in der Rolle des Klassenclowns brilliert und hatte mit seinen zweieinhalb Jahren noch nicht die Statur, die Lücke zu schließen, die sein Vater hinterlassen hatte.

In unserem Schmerz und auch, weil wir dachten, Cento müsste eine vierbeinige Begleitung an die Seite bekommen, er war ja zeit seines Lebens nichts anderes gewohnt, trugen wir uns intensiv mit dem Gedanken, ihm eine attraktive Gespielin zur Seite zu geben. Doch Cento wuchs aus dem Schatten seines Vaters, reifte zu einem kraftvollen, souveränen und dennoch immer fröhlichen und gutgelaunten Rüden heran und schaffte es so, die Lücke zu schließen, ohne seinen Vater je vergessen machen zu können; der Kreis, den Cento wieder schloss, ist ein anderer, als der, in dem wir uns mit Max bewegten.

Power und Anmut

Nun schreiben wir bereits das Jahr 2013, Cento ist sechs Jahre, besticht in Ausstellungen und auf den Sportplätzen – und wir sind nachträglich froh, im keine Begleiterin an die Seite gestellt zu haben. Zum einen hätten wir sie frühzeitig kastrieren lassen müssen, weil Cento läufigen Damen noch hochtouriger entgegentritt als es sein Vater je getan hatte, womit wir ihm keine Gefallen getan, ihm eher einen Bärendienst erwiesen hätten und zweitens hätte Cento diese Entwicklung nicht nehmen können, wenn er unsere Aufmerksamkeit hätte teilen müssen. Es hat sich also alles gefügt, obwohl kurzfristig alles aus den Fugen war.

In ein bis zwei Jahren jedoch, wenn Cento ins gesetzte Alter gekommen sein wird, können wir uns schon vorstellen, ihm einen kleinen Cento ins warme Nest der Alten Apotheke zu legen; es gibt ja nichts Unvergleichlicheres als ein grundgütiger Opa mit Flausen im Kopf. Oder? Schau mer mal ...

Eure Ulla und Flori Vogler